Lüneburg. Im Fahrstuhl ins alte Lüneburg, zurück in die Zeit um 1700, als die Stadt noch trutzig da lag, mit Wällen, Wehrtürmen und Toren. Es wäre eine andere Stadt als die, die wir kennen, in der auch Einheimische einen Moment bräuchten, um sich zu orientieren. Wolfgang Graemer lässt die alte Hansestadt im Computer auferstehen. Stück für Stück baut der Lüneburger an alten Ansichten. Sein Ziel: ein Stadtrundgang durch die Vergangenheit.
Graemer arbeitet als selbstständiger Lichtkünstler, er taucht Fassaden in ein besonderes Licht, in der Vergangenheit in Lüneburg zum Beispiel den Wasserturm und die Innenstadtkirchen. Seit langem beschäftigt er sich mit der Geschichte der Salzstadt. So entstand die Idee, beispielsweise den Bereich am Benedikt zu rekonstruieren.
„Die alten Feldsteine an der Mauer der Herberge dürften noch von der Stadtmauer stammen“, ist Graemer überzeugt. „Die Reste ziehen sich weiter hin zum Sülzwall.“ Dort, wo noch eine wilde Kleingartenanlage liegt, ist unter Erde und Sträuchern Mauerwerk zu finden. Mehrere Türme hätten dort gestanden, sagt Graemer. Das könne man auf alten Stichen sehen. Und eben die will er in seinem digitalen Bilderbuch wieder aufleben lassen.
Die Idee: Mit einer App für Handys und Tablets sollen Gäste und Einheimische aufbrechen zu einem Stadtrundgang. An 40 bis 70 Standorten, gekennzeichnet mit der alten Stadtmarke Mons-Pons-Fons, sollen sie dann auf ihren Displays das alte Lüneburg sehen, via Kopfhörer weitere Informationen abhören. Museen nutzen ähnliche Systeme als Audioguide.
Was Graemer in seiner Freizeit begonnen hat, ist ein ehrgeiziges Projekt und zeitintensiv. Er will die Stadtführung auf ein anderes Fundament stellen: Er sucht Sponsoren, die sein Vorhaben unterstützen. „Es gab erste Gespräche, und die waren erfolgversprechend.“ So wollen Lüneburger Geschäftsleute und Institutionen sein Vorhaben finanziell unterstützen. Und selbstverständlich will er Stadt und Stadtmarketing in sein Vorhaben einbinden.
Gemeinsam mit einem Partner arbeitet Graemer mit einer Software, die bei vergleichbaren Konzepten eingesetzt wird. Stück für Stück wächst so der lange verschwundene Springintgut-Turm, benannt nach einem Bürgermeister, der dort in einem Verlies verhungerte, auf dem Bildschirm empor. Aber auch das Altenbrücker Tor und die damals ganz anders geformte Stadtlandschaft kann der Betrachter aus verschiedenen Perspektiven mit den Augen durchwandern.
Als Vorbild dient erst einmal die Epoche um 1700: „Von dieser Zeit an gibt es Beschreibungen und Ansichten“, erzählt Graemer. Aber auch Adolf Brebbermann ist eine gute Quelle. Er galt in den 1980er-Jahren als „Chronist mit spitzer Feder“, der sich intensiv mit den Verteidigungsanlagen beschäftigt hat, seine Zeichnungen wirken fotografisch.
Neben den Archiven in der Stadt nutzt Graemer einen Schatz einer Bibliothek in Hannover: „Dort liegen mehr als 10 000 Seiten mit Ansichten Gebhardis. Sie werden gerade digitalisiert.“ Gebhardi war im 18. Jahrhundert Lehrer an der Ritterakademie und arbeitete zur Geschichte Lüneburgs und fertigte viele Ansichten an.
Graemer geht einen Schritt weiter. Natürlich kann mit der digitalen Grundlage auch eine spätere Zeit dokumentiert werden, etwa die Industrialisierung Lüneburgs im 19. Jahrhundert, als die Stadt wuchs und sie weite Teile ihrer Mauern schleifte. Auch die Jahre des Nationalsozialismus und der Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg wären Themen. Er glaubt, weitere Partner für sein Projekt zu finden. So plant er für Oktober eine Informationsveranstaltung. Er ist optimistisch: „Im Laufe nächsten Jahres sind wir so weit.“
Von Carlo Eggeling